Dienstag bis Sonntag
10 bis 18 Uhr
mumok collects | 29.3.2022
Robert Lettner: Die dritte Welt
Schon die Titel der Werke Geld und Die dritte Welt der mumok Sammlung weisen auf politische und gesellschaftskritische Dimensionen im Werk von Robert Lettner hin. Themen, die in den 1960er Jahren – als mumok Gründungsdirektor Werner Hofmann die beiden Werke erwarb – von großer Bedeutung waren und bis heute nicht an Aktualität verloren haben. Im folgenden Blogbeitrag bespricht der Kunsthistoriker Thorsten Schneider das spannende Ölgemälde Die dritte Welt im Detail und gibt Einblicke in den Briefwechsel zwischen Künstler und Museumsdirektor.
In einem Brief vom 12.07.1968 an Werner Hofmann kommt der Künstler Robert Lettner der Bitte nach, einige Sätze zur Entstehung seines Werkes Die dritte Welt (1967) zu schreiben. Hofmann, seinerzeit Direktor des Wiener Museums des 20. Jahrhunderts, hatte das Gemälde für die Sammlung angekauft (heute mumok Sammlung). Es sollte nicht das letzte Werk Lettners sein, das Hofmann für eines der Museen ankaufte, die er leitete. Das Gespräch zwischen beiden riss nie ab. Anstelle einer Bildbeschreibung, einer kunsthistorischen Einordnung oder Einblick in seinen malerischen Prozess skizziert Lettner einen gesellschaftspolitischen Horizont, der weit über das Einzelwerk hinaus geht. Seine künstlerische Arbeit verstehe er als ausgedehntes Experiment, innerhalb dessen die Form seiner Bilder lediglich als Teilergebnisse zu betrachten seien.
„Mir genügt es nicht, Gesellschaftssysteme infrage zu stellen, sondern ich versuche mit meinen Ausdrucksmitteln (Formen) zu argumentieren. Um unsere Gesellschaft zu durchschauen, muss man sich mit den Problemen der unterentwickelten Länder, der sich befreienden Völker vom Monopolkapital in Afrika, Asien und Lateinamerika, der sogenannten dritten Welt auseinandersetzen. Wenn unsere Generation imstande ist, dieses Problem der dritten Welt zu lösen, wird eine Zeit der ununterbrochenen gesellschaftlichen Veränderung eintreten, in der die Kunst nicht mehr die untergeordnete Rolle der Zeit und Geschichte (Geschichtsaufzeichnung) spielt“, so Lettner.
Der Kunsthistoriker Harald Krämer hat die Bedeutung der Utopie für das Œuvre Lettners herausgestellt. Sie nehme eine zentrale Vermittlerrolle zwischen den Leitthemen Widerstand und Landschaft ein. Eine kurze Phase zwischen 1967–68, in der einige großformatige Gemälde entstanden sind, erkennt Krämer als entscheidenden Schritt in der Entwicklung des Gesamtwerks. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Einordnung von Lettners Die dritte Welt in die zeitspezifischen Kontexte der Farbfeldmalerei, Minimal Art oder Op Art der 1960er-Jahre nur halb treffend. Die Präzision der malerischen Setzung von fünf roten Farbstreifen, die von fünf grünen Streifen noch einmal unterteilt werden, auf weißem Grund, erinnert an die formale Strenge eines Elsworth Kelley. Der Bildtitel, Die dritte Welt oder Probleme der dritten Welt, wie Lettner das Gemälde auch nennt, erzeugt jedoch eine Spannung zwischen malerischer Abstraktion und einem politischen Resonanzraum. Darin ist er Künstler*innen wie Rasheed Araeen viel näher.
Lettners briefliche Interpretation ist sehr aufschlussreich. Versteht man Kunst als gesellschaftliches Teilsystem, so sind auch die künstlerischen Ausdrucksmittel als symbolische Formen darin involviert. Die westliche abstrakte Malerei und das Kunstsystem sind Teil jenes Monopolkapitals, das Lettner problematisiert. Mit seinen malerischen Mitteln bringt Lettner jedoch eine immanente Kritik zur Darstellung, die ihre systemische Verstrickung nicht leugnet, sondern deren ungelöste Widersprüche markiert. Er entwirft gerade kein Bildprogramm, das als Historienbild die Gegenwart mit den Mitteln realistischer Repräsentation kritisiert oder Visionen einer besseren Zukunft ins Bild setzt. Das Gemälde Dritte Welt ist nicht-mimetisch, die Aussicht auf eine bessere Gesellschaft bleibt verstellt.
Hofmann, der auch mit politischen Positionierungen nicht zurückhaltend war, mag dies überzeugt haben. In einem Europagespräch während der Wiener Festwochen im Sommer 1966 formulierte er einige Gedanken über 'Die politische Verantwortung des Künstlers': „Politisch verantwortlich handelt der Künstler, der die Dimension der Verwandlung offen hält und ihre potenzielle Unbegrenztheit gegen amputierende Enge der Gesellschaftsplaner verteidigt, doch nicht um uns in ein Refugium zu locken, das für das entschädigt, was uns die politisch verfestigte Wirklichkeit vorenthält, sondern um unser Bewusstsein zu schärfen und mit Maßstäben zur richtigen Einschätzung der Vorläufigkeit eben dieser politischen Wirklichkeit zu versehen.“
Betrachtet man Lettners Die dritte Welt in Kenntnis seiner widerständigen, realistischen Bilder, die eine dystopische Gegenwart zeigen, erzeugt dies einen Widerhall, der die Abwesenheit von Utopien als undarstellbares Bildthema umso eindringlicher erscheinen lässt. Wiederum erkannte Hofmann in den explizit politischen Bildern Lettners der 1970er-Jahre „einen Realismus, der sich den Brechungen stellt, in die unsere Wahrnehmungsraster zerfallen.“ Die Bildserie Kalte Strahlung wäre ein gutes Beispiel dafür. Die Malerei steigert die Vorlagen aus Medienbildern und Fotonegativen zu einer unwirklichen Wirklichkeit – als Katastrophe.
Auch dort wo Lettners Gemälde auf den ersten Blick scheinbar nur Malerei, Landschaft oder Ornament sind, tragen sie doch immer auch eine Spannung in sich, die auf etwas Abwesendes verweist. Unschuldige Kunst gibt es ebenso wenig wie unschuldiges Sehen. Robert Lettner war ein unruhiger Geist, dessen Arbeit von der Spannung zwischen Kunst und Politik angetrieben wurde, ohne eines im anderen aufzulösen. Den Reichtum seines Nachlasses gilt es immer noch zu entdecken – umso mehr in einer Zeit, da die meisten Utopien erschöpft scheinen.
Thorsten Schneider
Im Jahr 2018 wurde der Verein zur Dokumentation des künstlerischen und wissenschaftlichen Werkes von Robert Lettner – RoLett gegründet. Der Verein und insbesondere Lettners Sohn Markus Lettner recherchierten, sammelten und digitalisierten das Schaffen des 2012 verstorbenen Künstlers. Das Ergebnis wurde auf der Homepage des Vereins zugänglich gemacht.