Dienstag bis Sonntag
10 bis 18 Uhr
16.11.2022
Raise and Un-Raise Your Voices! Choirs in Moving Images | Teil 1
Raise and Un-Raise Your Voices! Choirs in Moving Images
Programmreihe kuratiert von Marietta Kesting und Constanze Ruhm
Musikalische und rhythmische Töne produzieren zu können, ist eine Fähigkeit, die Menschen, Maschinen und Tiere, insbesondere Vögel, verbindet. Das Vortrags-, Film- und Live-Programm möchte an drei Abenden historische und zeitgenössische (Protest-)Chöre, „Singspiele“ und Bild-Tonexperimente im mumok kino zur Aufführung bringen. Neben Fragen zu performativen Ästhetiken und dem historischen Rückbezug auf Oralität, der Spannung zwischen „liveness“ und technischer Aufzeichnung sowie den Akten des Verlautens und Hörens zeigen sich hier signifikante Versuchsanordnungen einer sozialen künstlerischen Praxis, die vor allem davon handelt, dass jemand „die Stimme erhebt“. Dies kollektiv oder alleine zu tun ist dabei stets auch ein politischer Akt. Geprägt von unterschiedlichen Klangstrategien von Musiker*innen, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und auch Maschinen werden Auf- und Ausrufe, Anrufungen, Beschwörungen, Befragungen hörbar, sichtbar und erfahrbar.
Lokal wie international existieren unterschiedlichste Experimente mit Chören und (Live-)Performances zwischen Kunst, Musik und Bewegtbild in vielfältigen Überschneidungen, wie beispielsweise in Arbeiten aus dem afroamerikanischen Kontext von Jace Clayton (Omnipresence), in Installationen jüngerer österreichischer Künstlerinnen wie Marlies Pöschl, oder in den Performances des von Constanze Ruhm und Florian Paul Ebner gegründeten queer-feministischen Chors MALA SIRENA. Während man bei politischen Wahlen seine Stimme „abgibt“ oder sich auch enthalten kann, behält man in einem Chor die eigene Stimme, die sich mit anderen Stimmen addiert und so temporär Teil einer multivokalen Kollektivität wird. In chorischen Formaten und ihren vielfältigen Neu-Interpretationen werden somit neue Kollektivitäten und Kooperationen erprobt. Eine feministische und queere künstlerische Praxis, die oft mit Forderungen nach einer anerkennenswerten und inklusiven Sichtbarkeit einherging, wird nun teilweise über kollektive Formate der Hörbarkeit, des lautstarken Protests, aber auch einer neuen Pleasure-Politik des „Ansingens gegen die Macht und Ungerechtigkeiten“ erweitert.
Teil 1 am Mittwoch, 16. November, 19 Uhr
INVOCATION mit Jace Clayton
Der afroamerikanische Autor, Künstler, Musiker und DJ Jace Clayton wird einige Werke vorstellen, zu denen sowohl Arbeiten mit Chören gehören, die gegen Überwachungs-Flutlichter im Stadtraum ansingen, als auch solche, die sich mit der Analyse technischer Glitches und politischer Soundkulturen beschäftigen. Dadurch werden Kategorien in Frage gestellt, die davon handeln, was als „technisch“ und „künstlich“ und was als „natürlich“, „menschlich“ oder „analog“ gilt. Denn wie Nina Sun Eidsheim bemerkt: „Die Stimme besteht aus mehreren körperlichen Organe, die bei der Produktion des Klangs beteiligt sind, den akustischen Bedingungen, in denen sie ausgesandt und empfangen wird, und dem Stil und der Technik, die lebenslang ausgebildet werden, dem, was Farah Jasmine Griffin den ‚kulturellen Stil‘ nennt.“ (1) Das englische Wort „invocation“ beinhaltet sowohl die „Stimme“ als auch den „Ruf“. Der Ausdruck wird verwendet, wenn es darum geht, Gesetze, Autorität oder Privilegien in Kraft zu setzen oder sich auf andere höhere Mächte, wie auch auf Magie zu berufen. Es ist mit dem Verb „evoke“ verwandt, das in erster Linie im Sinne von "hervor- oder herbeirufen" verwendet und häufig in Verbindung mit Konzepten von Erinnerung, Emotion oder Empathie eingesetzt wird. Auch Alexander G. Weheliye betont, dass gerade in der afroamerikanischen Musikkultur Stimme und Technologie miteinander verbunden sind: "Diese nachhallenden Anstöße verstärken auch die integrale Verflechtung von Klang und Technik in der modernen Ära und unterstreichen einige der Möglichkeiten von Klangtechnologien, ein wesentliches Element des musikalischen Textes zu sein und nicht nur eine Ergänzung zu dessen Entfaltung.“ (2) Gesang, Musik und Sound sind alternative Kommunikationssysteme, die Geschichte als Ritual befragen und Rhythmus als eine Technologie einsetzen, die rituelle und kodierende Möglichkeiten vereint. Um sich dem anzunähern, was unter den Ebenen des unmittelbar Wahrnehmbaren liegt, werden temporäre Resonanzräume hergestellt, in dem die Übergänge zwischen belebten und unbelebten Akteur*innen, zwischen Spiritualität und Technologie, verschiedenen Zeitordnungen und Ideologien fließend werden. Gleichzeitig beinhaltet (Live-)Sound – ein Ton entsteht, indem er vergeht – auch Erinnerung an Formen spekulativen Wissens, als etwas Flüchtiges, (Un-)Dokumentierbares, sich der Überwachung Widersetzendes.
(1) Nina Sun Eidsheim, The Race of Sound: Listening, Timbre, and Vocality in African American Music (Durham: Duke University Press, 2018), S. 10. Deutsche Übersetzung: Marietta Kesting.
(2) Alexander G. Weheliye, Phonographies: Grooves in Sonic Afro-Modernity (Durham: Duke University Press, 2005), S. 2. Deutsche Übersetzung: Marietta Kesting.
Programm
Installation und Vortrag von Jace Clayton
Vorgestellt von Marietta Kesting und Constanze Ruhm
Jace Clayton ist ein in New York lebender Künstler und Autor, der auch für seine Arbeit als DJ /rupture bekannt ist. Clayton ist Assistenz Professor für Bildende Kunst und Interim Direktor des Sound Art MFA Programms der Columbia University. Aktuelle Publikationen: Review der Whitney Biennial (Artforum, 2022) und Review der Ausstellung Before Yesterday We Could Fly des Metropolitan Museum of Art (4Columns, 2022). Sein Buch Uproot: Travels in 21st Century Music and Digital Culture erschien 2016.
Marietta Kesting ist Medien-und Kunsttheoretikerin, lehrt zurzeit an der Universität Potsdam und ist Teil der Publikationsplattform b_books.
Constanze Ruhm ist Künstlerin, Filmemacherin, Autorin und Kuratorin. Sie lehrt seit 2006 an der Akademie der bildenden Künste in Wien als Professorin für Kunst und Medien.
Teil 2 am Mittwoch, 30. November: WORKING / AGENCY
Teil 3 am Mittwoch, 7. Dezember: RESONANCE / ALGORITHMS