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mumok insider | 2.3.2023
Feministisch Betrachtet zum internationalen Frauentag 2023
Feministische Bewegungen arbeiten ausgehend von Kritiken an Geschlechterordnungen mit unterschiedlichen Ansätzen gegen Diskriminierungen und das immer in einem Bewusstsein der Verbundenheit gesellschaftlicher Verhältnisse. Sie untersuchen, wie Sexismus, (Hetero)normativität, Rassismus, Klassismus und Ableismus zusammenwirken. Die Frage der Verbundenheit ist eine politische und feministische. „Verbundenheit“ bedeutet nicht, dass es keine Unterschiede gäbe – im Gegenteil: Differenzen wahrzunehmen, ist wichtig, um „Verbundenheit“ erkennen zu können. Und es geht hier auch nicht nur um „Verbundenheit" zwischen Einheiten und Gruppierungen, sondern auch darum, wie Subjekte beziehungsweise Individuen selbst in „Verbundenheit" gebildet sind. In diesem Blogbeitrag und bei der Themenführung am 12. März werden wir anhand von Arbeiten von Leilah Babirye, Marian Castillo Deball und Emília Rigová Geschichten politischer, Black- und queerfeministischer Verbundenheit (weiter)erzählen.* In diesem Text webe ich Zitate feministischer Theoretiker*innen ein – Fäden, die wir aufgreifen können: beim Weiterlesen und/oder bei der Führung in den Ausstellungen.
Leilah Babirye betitelt ihre Skulpturen aus Keramik, Holz und Metall nach einer Tradition der Clansnamen in Uganda und fügt das Wort „kuchu“ (lugandisch für „queer“) hinzu. Im mumok zeigt sie ihre Arbeiten gemeinsam mit Skulpturen und Plastiken der klassischen Moderne aus der Sammlung, denen sie temporär auch neue Titel und den Zusatz „kuchu“ gibt. Damit "werden sie zu Mitstreiter*innen ihrer queeren Armee der Liebenden", während sie "Beleg für die koloniale Aneignung außereuropäischer Kunst" sind. Traditionellerweise wurden und werden diese (post)kolonialistischen Zusammenhänge durch Erzählungen von Genie und Originalität verdeckt. In Babiryes Installation werden Verflechtungen von Rassismus, (Post-)Kolonialialismus und Homophobie ebenso sichtbar, wie Verflechtungen queerer, antirassistischer und feministischer Strategien, die kraftvoll dagegenhalten.
Mit dem Begriff und dem Konzept der Intersektionalität (vorstellbar als Überkreuzung verschiedener Aspekte von Diskriminierungen) formulierte die US-amerikanische Professorin für Rechtswissenschaften Kimberlé Crenshaw 1989 ihre Forderung nach einer strukturellen Überarbeitung sowohl der antirassistischen, als auch der feministischen Arbeit (1): "Das Konzept richtet den Blick vor allem auf die Art und Weise, wie Rassismus, Patriarchat, Klassenzugehörigkeit sowie andere Systeme der Unterwerfung eine nicht auf den ersten Blick sichtbare Ungleichheit konstruier(en), welche die Beziehung von Frauen zu Rasse, Ethnie, Klasse und ähnliches bestimmt,” (2) schreibt Crenshaw und führt weiter aus: „Intersektionalität ist eine analytische Sensibilität, eine Möglichkeit, über Identität und ihr Verhältnis zu Macht nachzudenken. (...dabei) geht es beim Thema Intersektionalität selbstverständlich nicht nur um Identitäten, sondern um die Institutionen, die Identität nutzen, um Menschen auszuschließen oder zu privilegieren. Je besser wir die Interdependenzen zwischen Identitäten und Macht in unterschiedlichen Zusammenhängen verstehen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass unsere auf Wandel ausgerichteten Bewegungen zerbrechen.“ (3)
Mariana Castillo Deball erforscht in ihren Arbeiten, wie Wissenschaft, Archäologie, Mythen und Kunst die Welt erklären, erzählen, ja bilden. In langen, ineinander verschränkten Prozessen der Recherche und der Herstellung arbeitet sie über und mit unterschiedlichen Materialien, Zeichen, Codes, Farben – und reflektiert dabei, wie die gegenwärtig und in der Vergangenheit an diesen Erzählungen beteiligten Elemente – sie selbst, wir und alle Anderen – aufeinander einwirken.
Ihre Praxis und ihre „Uncomfortable Objects“ erinnern mich daran, wie Donna Haraway in dem Kapitel „Sympoieises“ in ihrem Buch Unruhig Bleiben Formen des „Mit-Machens“ beschreibt – mit einer neuen Vorstellung von Materialismus. Als handelnde Subjekte werden dabei nicht nur menschliche Akteur*innen wahrgenommen, sondern auch nicht-menschliche Tiere, Objekte, Gegenstände, Materialien, Substanzen und ähnliches – ein wechselseitiges, gemeinsames Agieren, ein „Mit-Machen“: „Ich spreche vielmehr von materieller Semiotik, über Praktiken der Verweltlichung, über Sympoiesis, die nicht nur symbiogenetisch ist, sondern immer ein sensibler Materialismus.“ (4)
In der Ausstellung Emília Rigová. Nane Oda Lavutaris / Who Will Play for Me? finden wir Pflanzen, Teppiche und Klaviere, auf denen spieluhrartige Mechanismen angebracht sind, die Lieder aus der Tradition der Rom*nja spielen. An den Wänden lehnen Steintafeln, die an Grabsteine erinnern, darauf eingemeißelt sind Notationen und Texte zu den Liedern. Diese Elemente bilden eine räumliche Situation, mit und in der Emília Rigová Verschränkungen von Identifizierung, Identität, Diskriminierung, Tradierung, Stereotypisierung und Archivierung reflektiert. Diese Verschränkungen bestehen nicht nur außerhalb einzelner Subjekte, sondern sind Bedingung dessen, was wir sind: „Es ist schwierig, Abhängigkeit als Bedingung dessen anzuerkennen, was wir zufällig sind. (…) Würden wir uns selbst neu denken, als grundsätzlich voneinander abhängige soziale Wesen – und darin liegt keine Scham, keine Demütigung, keine „Feminisierung“ – dann gingen wir anders miteinander um, meine ich, denn unser Selbstverständnis definierte sich nicht durch jeweilige Eigeninteressen.“ (5)
Ich glaube, dass Ansätze, Verbundenheit als politisch zu denken, sehr wichtig sind. Sie helfen, Handlungsfähigkeit zu entwickeln, um feministische Politiken umsetzen zu können. Die drei Künstler*innen eröffnen uns je eigene Räume, dies mit ihrer Kunst und darüber hinaus zu diskutieren. Abschließend möchte ich einen Link zum Manifest des „Combahee River Collective“ (1974–1980) teilen, einem Kollektiv Schwarzer, lesbischer Feministinnen. Dies ist ein Text, der für die Entwicklung zeitgenössischer Feminismen und Intersektionalität von großer Bedeutung war und ist. Herzliche Leseempfehlung.
Mikki Muhr
* Ich verwende hier gern das Verb "erzählen", weil es mit "to relate" ins Englische übersetzt werden kann: to relate: etwas in Beziehung bringen, sich auf etwas beziehen, etwas verstehen, erzählen, verknüpfen, berichten, in Beziehung treten.
(1) Kimberlé Crenshaw, Demarginalizing the Intersection of Race and Sex (1989).
(2) Kimberlé Crenshaw, Background Paper for the Expert Meeting on the Gender-Related Aspects of Race Discrimination (2000), www.gwi-boell.de/de/2019/04/12/intersektionalitaet-eine-kurze-einfuehrung.
(3) Kimberlé Crenshaw, „Reach Everyone on the Planet …“ – Kimberlé Crenshaw und die Intersektionalität (2019), Texte von und für Kimberlé Crenshaw, Herausgegeben vom Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung, S.14f.
(4) Donna Haraway, Unruhig Bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän (2018), S. 122.
(5) Judith Butler in einem Interview mit der Zeitschrift The New Yorker, 9. Februar 2020: www.newyorker.com/culture/the-new-yorker-interview/judith-butler-wants-us-to-reshape-our-rage, deutsche Übersetzung von Beatrice Faßbender in: Priya Basil: Im Wir und Jetzt Feministin werden, Suhrkamp 2021.