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mumok insider | 24.10.2023

Kein Futter für Papierfischchen

Kein Futter für Papierfischchen

Auf dem Tisch von Karin Steiner liegt eine farbige Collage. Die mumok-Restauratorin senkt Oberkörper und Kopf und beleuchtet das Blatt mit einem Streiflicht von der Seite. Die haarfeinen Linien von Kratzern oder Knicken werden so besser sichtbar, ebenso die Papierschnipsel, aus denen die Künstlerin Elisabeth Wild noch im hohen Alter ihre Bilder zusammengeklebt hat. Was machen Restaurator*innen? Das klischeehafte Bild einer Person im Arbeitskittel, die mit der Lupe eine Leinwand beäugt und dann den Pinsel zückt, ist noch gang und gäbe. Dabei umfasst dieses Arbeitsfeld, vor allem in der zeitgenössischen Kunst, so viel mehr, als bloß Hand anzulegen.
Die physische Arbeit am Werk – Steiner nennt es „invasiven Eingriff“ – ist meist der allerletzte Schritt. Der Job startet mit Recherche. Die Restauratorin findet es spannend, dass sie nie davon ausgehen kann, Gegenwartskunst gleich zu verstehen. „Weil Dinge wie Schmutz, Staub, Risse oder Knicke, die in klassischen Kunstwerken oder auf klassisch verarbeiteten Materialien eindeutig Schäden sind, hier oft eine gewollte Erscheinungsform darstellen“, erklärt die Spezialistin für Papierarbeiten, die auch an der Akademie der bildenden Künste lehrt. Als erste Anlaufstelle fungieren die Künstler*innen, deren Intentionen, Produktionsweisen und Werkbegriffe Vorrang haben. Ist der Austausch mit den Produzent*innen nicht möglich, wird das kuratorische Team zu Rate gezogen.
 

Flucht und Emigration prägten das Leben der 1922 in Wien geborenen Künstlerin Elisabeth Wild. 1938 aus Österreich vertrieben, begann die junge Frau in Buenos Aires Malerei zu studieren. Von Argentinien ging Wild mit ihrem Mann nach Basel. Aber erst in Guatemala, wohin sie ihrer Tochter, der Künstlerin Vivian Suter, 1996 folgte, entstanden ihre heute gefeierten Papierarbeiten.
Kein Tag ohne Collage: So lautet das Motto von Wild, die bis zum Schluss täglich Mode- und Kunstmagazine zerschnitt und aus Papierteilen stilsicher eigene Bildwelten schuf. Und wenn sie einen Tag keine Collage schaffte, klebte die resolute Dame am nächsten Tag zwei.
Die Kuratorin Marianne Dobner hatte 2020 das Glück, die 98-Jährige noch persönlich kennenzulernen und mit ihr gemeinsam die aktuelle Wiener Schau „Fantasiefabrik“ planen zu können. Die 365 Collagen führen in einen farbstarken Kosmos, konstruiert aus geometrischen Formen. Wilds „Fantasías“ erinnern mal an utopische Architekturen, mal an poppiges Design.
„Es erinnert sich wohl jeder aus der Kindheit, wie delikate es ist, dünnes Papier in Formen zu zerschneiden, weil es so leicht reißt“, sagt Steiner mit dem Hinweis auf kleine Risse. Schere und Kleber wurden zu Wilds Werkzeugen, als sie nach einem Sturz im Rollstuhl saß. Dass sie ihr Rohmaterial ausgerechnet aus Hochglanzgazetten holte, war schon ein bisschen exzentrisch. Denn erstens konnte die Künstlerin Vogue oder Artforum im Hochland Guatemalas nirgends kaufen und zweitens ist dieser Werkstoff äußerst kurzlebig.

 

„Diese Hefte sind zum Anschauen und Durchblättern gemacht und landen bestenfalls im Altpapier. Ihre Seiten sind aus lichtempfindlichen, kurzfasrigen Papieren, oft von minderer Qualität, weil sie noch beschichtet und dann erst bedruckt werden“, erklärt Steiner. Außen hui, innen pfui, könnte man sagen, aber das würde die Restauration nie tun. Für sie offenbart sich die künstlerische Handschrift in der Wahl des dünnen Papiers, ebenso wie in Knicken („wahrscheinlich von Wild selbst beim Tun“), Klebestellen („punktuell, nicht flächig“) und in der Überlagerung („relativ dreidimensional“). Der Schutz der Objekte vor etwaigen Schäden hat höchste Priorität. Die größte Gefahr für Wilds Ausstellung ist das Papierfischchen. Das pastellfarbige Ausstellungsdisplay besteht aus Wellpappe und deren Waben sind ein Schlaraffenland für zellstoffhungrige Parasiten.

 

Im Sinne einer vorbeugenden Konservierung hat die Restauration die Exponate insektensicher montiert. Die regelmäßige Kontrolle und Überwachung erledigt ein Kollege vom „Integrated Pest Management“. Ebenso kümmert sich Steiner um die richtige Verglasung, die Beleuchtung und das konstante Raumklima.

 

Oje, da sind Wasserflecken auf der Rückseite. Offenbar wurde die Collage nass. Wilds abgeschiedenes Atelier wurde mehrfach überschwemmt. Könnte man solche gewellten und verfärbten Stellen nicht beseitigen? „Als Restauratorin bin ich nicht dazu da, Werke zu perfektionieren, sondern ihre beredten Seiten zu erkennen. Es gilt das, was da ist, zu schätzen“, erklärt Steiner ihr Berufsethos, das höchste Achtung vor der Kunst ausdrückt.

 

Nicole Scheyerer

 

Dieser Artikel entstand als Teil einer Kooperation mit dem FALTER.

 

 

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Foto: Zoe Opratko / mumok

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Foto: Zoe Opratko / mumok

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Foto: Zoe Opratko / mumok