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05.6.2019
2009 – Der blinde Fleck ist die jüngste Vergangenheit
Programmreihe kuratiert von Studierenden der Akademie der bildenden Künste Wien in Zusammenarbeit mit Diedrich Diederichsen
Gegenwartskunde und Gegenwartsdiagnose werden gerade im Kunstzusammenhang meist verstanden als eine zukunftsorientierte Bestandsaufnahme der Jetztzeit, des Heutigen. Die Kunstgeschichte lässt traditionellerweise keine Gegenstände zu, die neuer als 50 Jahre alt sind. Damit bleibt ein dunkler Zeitraum zwischen 1969 und 2019, mit dem sich keine Wissenschaft beschäftigt; zumal auch die Retro- und Nostalgiemoden meist nur das genau 20 Jahre Alte aufbereiten (und frühere Zeiträume: die psychedelischen 1960er-Jahre oder die bleiern-bunten 1970er haben schon einige Zyklen durchgemacht). Zu den Problemen unseres Zeitbezugs gehört, dass gerade begonnene, aber nur langfristig vielversprechende Projekte liegen bleiben und vergessen werden, und damit auch das Bewusstsein dafür, was – politisch, gesellschaftlich – zu schaffen ist. Zehn Jahre zurückgeblickt: Was wissen wir heute noch davon, wie ist es weitergegangen, gibt es ein Archiv? 2009 stand nicht zuletzt im Zeichen der Finanzkrise und einer damit einhergehenden neuen und grundsätzlichen Kapitalismuskritik, was ist davon geblieben? Und: Der erste afroamerikanische Präsident trat sein Amt an. Das Programm möchte zwischen historischem Wissen und Gegenwartswissen vermitteln, gerade in Bezug auf Dauer, Prozesse und Erfolge – als Kategorien politischen, projektorientierten Denkens.
Teil 2: Realität ist die Zukunft der Vergangenheit
Mit dieser Zusammenstellung von zwei Filmen rücken wir 2009 als ein Jahr, das auch für die Entfaltung der weitgreifenden Folgen der Finanzkrise steht, ins Licht. Beide Male begeben sich die Filmemacher_innen auf eine Reise durchs Land auf der Suche nach Spuren, die Aufschluss über vorherrschende soziale und politische Dysfunktionen geben. Während die französische Autorin und Regisseurin Virginie Despentes für Mutantes von der West- zur Ostküste der USA reist, um Frauen zum Stand von Feminismus und Sexarbeit zu interviewen, erkundet der chinesische Filmemacher Huang Weikai in Disorder sein Heimatland, genauer die Stadt Guangzhou, um Amateurvideomaterial zu finden, das er zu einem Porträt der gegenwärtigen chinesischen Gesellschaft in Zeiten der Urbanisierung verdichtet. Vergleichbare Herangehensweisen münden in zwei völlig unterschiedliche Filmästhetiken, die jeweils unkonventionelle Gesellschaftsporträts zu zwei der wirtschaftsstärksten Weltnationen hervorbringen.
Programm
Virginie Despentes, Mutantes, 2009, 91 min
Huang Weikai, Disorder (Xianshi Shi Guoqu de Weilai), 2009, 58 min
Kuratiert und vorgestellt von June Drevet, Florian Hofer und Valentina Triet
Diedrich Diederichsen lehrt an der Akademie der bildenden Künste Wien Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst. Letzte Veröffentlichungen: Körpertreffer: Zur Ästhetik der nachpopulären Künste, Berlin 2017; Über Pop-Musik, Köln 2014. Lebt in Ottakring und Schöneberg.
Die Programmreihe findet im Rahmen der Lehrveranstaltung 2009 – Vor zehn Jahren von Diedrich Diederichsen an der Akademie der bildenden Künste Wien statt.