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06.3.2019
Third from the Sun. Ansichten und Aussichten des Anthropozäns
Hausgemachte Katastrophe oder kosmischer Witz? Dem Planeten geht es gar nicht gut, und das zeigt sich jeden Tag deutlicher. Bilder von Müllbergen, Plastik im Meer und neuerdings den dramatischen Auswirkungen der Erderwärmung lassen nichts Gutes für eine zusehends schwindende Zukunft erahnen. Zu Beginn der 2000er-Jahre hat der niederländische Chemiker Paul Crutzen für die unabweislichen Spuren, die der Mensch auf der Erde und in der Atmosphäre hinterlässt, den Begriff „Anthropozän“ geprägt. Seither widmen sich auch Künstler_innen und Filmemacher_innen verstärkt dieser immer drastischeren Gemengelage, deren tiefere Gründe oft vertrackter sind als die vielen augenscheinlichen Öko-Desaster dies vermuten lassen.
In vier Teilen geht das Programm Third from the Sun künstlerischen Ansätzen nach, die Symptome, Ausprägungen und Auswirkungen des Anthropozäns konkret sichtbar machen. Im Mittelpunkt stehen dabei weniger mahnende oder vor den Kopf stoßende Katastrophenbilder als vielmehr Formen der Verwicklung in größtenteils unumkehrbare Prozesse. Teil eins (Dark Star – Nach der Katastrophe) bringt Einschreibungen des Menschen in die Umwelt, auch anhand von visionären Gegenbildern, zur Anschauung. Der zweite Teil (Earthbound – Widrige Naturen) untersucht Eigensinn und Widerständigkeit auf Seiten des „Natürlichen“, wobei die Position des immer noch herrschaftlichen Menschensubjekts nicht ausgespart bleibt. Teil drei (Electric Warriors – Letzte Menschen) geht näher auf die Aussichten, Absichten und Antizipationen dieses Subjekts ein, das – unter sich zuspitzenden Bedingungen – immer mehr ins Abseits zu geraten droht, dies aber auch als Chance begreifen könnte. Im vierten Teil schließlich (Stone Free – Die Zeit, die bleibt) soll die Latenz bzw. Potenzialität dessen erwogen werden, was noch nicht Wirklichkeit geworden ist, aber Funken der Veränderung in Bezug auf unser herkömmliches Natur- und Umweltverständnis in sich trägt. Planet Earth is blue, and there’s nothing we can do?
Kuratiert von Christian Höller
„Earthbound“, Erdverbundenheit, gilt als einer der Schlüsselbegriffe für die Positionierung des Menschen im Anthropozän. Was aber, wenn die Erde, egal ob als „Mutter Natur“, „Gaia“ oder „Cthulhu“ imaginiert, viel weniger Verbundenheit zulässt als gemeinhin angenommen? Was, wenn eine unumgehbare Widrigkeit in das Mensch-Natur-Verhältnis eingelassen ist, die nicht einfach in überbordende Harmonie zum einen oder arrogante Herrschaftlichkeit zum anderen auflösbar ist? In Medium Earth von The Otolith Group wird diese Unauflösbarkeit anhand der Geologie Kaliforniens erläutert, in stillen, teils esoterisch wirkenden Aufnahmen, die empfänglich sind für seismische Lücken und Rätsel. Tue Greenfort geht in seinem YouTube-Sampling-Film dem (digital-globalen) Leben des über 500 Millionen alten Pfeilschwanzkrebses nach, des angeblich ältesten bekannten Lebewesens – und fördert dabei abenteuerlichste menschliche Verhaltensweisen zutage. Den biologischen, ethnografischen und ökonomischen Spuren des chemischen Elements Europium, einer für High-Tech-Zwecke benötigten Seltenen Erde, widmet sich Lisa Raves gleichnamiger Essayfilm. Den Abschluss bilden zwei kurze Arbeiten der Gruppe Unknown Fields (Liam Young, Kate Davies): Rare Earthenware verfolgt den Handelsweg von Seltenen Erden zurück zu einer radioaktiv verseuchten Mine in der Inneren Mongolei, während der letzte Film des Programms eine sarkastische Montage über Energieformen der Zukunft bereithält.
The Otolith Group, Medium Earth, 2013, 41 min
Tue Greenfort, Horseshoe Crab, Companion Species YOUTUBE Series, I, 2013/2017, 12 min
Lisa Rave, Europium, 2014, 20 min
Unknown Fields, Rare Earthenware (2015), 7 min
Unknown Fields, We Power Our Future With the Breastmilk of Volcanoes, 2016, 7 min
Vorgestellt von Christian Höller, anschließend Gespräch mit Lisa Rave (auf Englisch)
Christian Höller ist Redakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift springerin – Hefte für Gegenwartskunst.
Lisa Rave lebt in Berlin und unterrichtet an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Ausstellungen (Auswahl): The Cracks, Not the Mirror, Videonale.scope #6, Filmclub 813, Köln (2018); Face/Value, transmediale, Haus der Kulturen der Welt, Berlin (2018); The Oceanic, Centre for Contemporary Art, Singapur (2018).