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27.3.2019

Third from the Sun. Ansichten und Aussichten des Anthropozäns

Third from the Sun. Ansichten und Aussichten des Anthropozäns

 

Hausgemachte Katastrophe oder kosmischer Witz? Dem Planeten geht es gar nicht gut, und das zeigt sich jeden Tag deutlicher. Bilder von Müllbergen, Plastik im Meer und neuerdings den dramatischen Auswirkungen der Erderwärmung lassen nichts Gutes für eine zusehends schwindende Zukunft erahnen. Zu Beginn der 2000er-Jahre hat der niederländische Chemiker Paul Crutzen für die unabweislichen Spuren, die der Mensch auf der Erde und in der Atmosphäre hinterlässt, den Begriff „Anthropozän“ geprägt. Seither widmen sich auch Künstler_innen und Filmemacher_innen verstärkt dieser immer drastischeren Gemengelage, deren tiefere Gründe oft vertrackter sind als die vielen augenscheinlichen Öko-Desaster dies vermuten lassen.

 

In vier Teilen geht das Programm Third from the Sun künstlerischen Ansätzen nach, die Symptome, Ausprägungen und Auswirkungen des Anthropozäns konkret sichtbar machen. Im Mittelpunkt stehen dabei weniger mahnende oder vor den Kopf stoßende Katastrophenbilder als vielmehr Formen der Verwicklung in größtenteils unumkehrbare Prozesse. Teil eins (Dark Star – Nach der Katastrophe) bringt Einschreibungen des Menschen in die Umwelt, auch anhand von visionären Gegenbildern, zur Anschauung. Der zweite Teil (Earthbound – Widrige Naturen) untersucht Eigensinn und Widerständigkeit auf Seiten des „Natürlichen“, wobei die Position des immer noch herrschaftlichen Menschensubjekts nicht ausgespart bleibt. Teil drei (Electric Warriors – Letzte Menschen) geht näher auf die Aussichten, Absichten und Antizipationen dieses Subjekts ein, das – unter sich zuspitzenden Bedingungen – immer mehr ins Abseits zu geraten droht, dies aber auch als Chance begreifen könnte. Im vierten Teil schließlich (Stone Free – Die Zeit, die bleibt) soll die Latenz bzw. Potenzialität dessen erwogen werden, was noch nicht Wirklichkeit geworden ist, aber Funken der Veränderung in Bezug auf unser herkömmliches Natur- und Umweltverständnis in sich trägt. Planet Earth is blue, and there’s nothing we can do?

 

Kuratiert von Christian Höller

 

 


Teil 3: Electric Warriors – Letzte Menschen

 

Angesichts der unabweislichen Katastrophe kann der Mensch kaum anders als kläglich erscheinen. Oder aber das sich abzeichnende Desaster als Chance begreifen, um mit unkonventionellen, ja kontraintuitiven Mitteln gegen das Unvermeidliche aufzubegehren. Electric Warriors zeigt Momente dieses Aufbegehrens, wobei die Breite des dabei sichtbar werdenden Renitenzspektrums enorm ist. Wanuri Kahius Sci-Fi-Kurzspielfilm Pumzi spielt 35 Jahre nach dem Dritten Weltkrieg, dem „Krieg um Wasser“, und lässt die Protagonistin entgegen aller futuristischen Totalkontrolle einen Funken Freiheit in die unbewohnbar gewordene Welt hinaustragen. Ähnlich die Versuchsanordnung in Ursula Biemanns und Mo Dieners Twenty-One Percent: Eine Techno-Schamanin performt Akte eines Cosmic Cooking, um die Strapazierfähigkeit der Elemente bzw. die Chemie des Planeten auszutesten. Die Schnittmenge von Öko und Queer wird in Zheng Bos Pteridophilia „enacted“: Sieben Jugendliche leben in einem taiwanesischen Wald ihre erotische Beziehung zu diversen Farnen aus. Sirenomelia, Meerjungfrauensyndrom, nennt Emilija Škarnulytė ihre posthumanistische Perspektive auf die schmelzenden Eisberge des hohen Nordens – um irgendwo in einem unterirdischen Kanal eine hybride Meerjungfrau, als Figur einer potenziellen Befreiung, das Licht der Welt erblicken zu lassen. Dieses Licht sieht auch Holly Herndon in ihrem Musikvideo Morning Sun, ja sie wird regelrecht von ihm geblendet, wobei die Welt rundherum längst stockdunkel geworden ist.

 

 

Programm

 

Wanuri Kahiu, Pumzi, 2009, 22 min
Ursula Biemann, Mo Diener, Twenty-One Percent, 2016, 18 min
Zheng Bo, Pteridophilia, 2016, 17 min
Emilija Škarnulytė, Sirenomelia, 2017, 12 min
Holly Herndon, Morning Sun, 2015, 6 min

 

Vorgestellt von Christian Höller, anschließend Gespräch mit Emilija Škarnulytė (auf Englisch)

 

Christian Höller ist Redakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift springerin – Hefte für Gegenwartskunst.

 

Emilija Škarnulytė ist eine nomadische Künstlerin und Filmemacherin. In Tromsø leitet sie derzeit mit Sarah Schipschack das Polar Film Lab, ein Kollektiv, das sich dem 16mm Film verschrieben hat. Ausstellungen (Auswahl): Hyperobjects, Marfa, Texas (2018); Moving Stones, KADIST, Paris (2018); On Earth, Structure and Sadness (zusammen mit Tanya Busse als New Mineral Collective), Serpentine Cinema, London (2019).