Dienstag bis Sonntag
10 bis 18 Uhr
Der militante Satiriker Karl Kraus war bekannt für seine affektgeladene Stimme, mit der er in andauernder geistiger Hochspannung gesellschaftliche Dekadenz und Sprachverfall messerscharf kritisierte. Oskar Kokoschka porträtiert ihn 1925 als sensiblen Künstler vor nervöser intellektueller Kraft sprühend, wie er in der für ihn typischen leicht gekrümmten Haltung am Schreibtisch sitzt. Von der das Bild dominierenden dunklen Farbpalette hebt sich das Gesicht ab, das durch rote und gelbe Farbinseln wie von einem Scheinwerferstrahl erleuchtet wirkt. Doch stammt dieser nicht von der Lichtquelle links im Bild, sondern scheint von ihm selbst auszugehen, was zusammen mit den Schmetterling den Eindruck von lebendigem Geist verstärkt. Gleich einer Ellipse greift er mit den Armen in den Raum, mit einer Hand ein Buch berührend, mit der anderen rezitierend. Dem aktiven Handlungsmoment, das die geistige Welteroberung von Karl Kraus veranschaulicht, wird formal Nachdruck verliehen, indem die Farbflächen sich im Bereich der Hände in skizzenhafte Bewegtheit zerfasern. Kokoschka berichtet in seiner Autobiographie, dass der Sessel während der Porträtsitzung unter Kraus zusammengebrochen sei, weil er zu heftig mit dem Architekten Adolf Loos diskutierte. Daraufhin hat Kokoschka auf die Rückseite des Bildes anerkennt notiert: „ Auf dem Schiffbruch der Welt jener, die mit Brettern oder Barrikaden vor der Stirn geboren sind, hast du eine Planke zu einem Schreibtisch geborgen.“