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mumok insider | 13.11.2024

Nachruf auf Daniel Spoerri

Nachruf auf Daniel Spoerri

Daniel Spoerri (1930–2024)

„Man hat gelegentlich von Spoerri gesagt, er sei ein „Gesamtkünstler“. Was immer das heissen [sic] mag: Es ist jedenfalls leichter und schneller zu sagen, was er als Künstler (noch) nicht war. Er war nie Musiker; aber er lebte doch über Jahre als Tänzer in und mit der Musik, nicht eigentlich mit dem Melos, sondern im Rhythmus. Er war nie Architekt; aber er kaufte sich hin und wieder Häuser, verwandelte sie durch seine Arbeit und stiess [sic] sie wieder ab. Er war nie Zeichner, weil er, wie er unverblümt sagt, „das einfach nicht kann“; aber das Zeichnerische ging ein in seine Schrift und verwandelte sich zum Wort. Er war nie ein Leinwandmaler; aber dennoch gelegentlich Maler am Objekt. Im übrigen [sic] war und ist er manches: Dichter, Schriftsteller, Tänzer, Mime, Choreograph, Regisseur, Schauspieler, Verleger, Bühnenbildner, Objektkünstler, Koch, Erfinder unzähliger Rezepte, Eat Artist, Happening-Veranstalter, Sammler, Filmer, Museums-Macher, Akademie-Professor.“
(Hans Saner)

 

Daniel Spoerris vielseitiges Werk war und ist eng mit der Ausstellungs- und Sammlungsgeschichte des mumok verknüpft. Mit dem Zuwachs der Sammlung Hahn fanden 1978 unter anderem zwei Hauptwerke ihren Weg in die Sammlung: Der Koffer (1961) und Hahns Abendmahl (1964) – zwei von insgesamt mehr als 40 Werken. Von September bis November 1990 war das mumok, ehemals das Museum des 20. Jahrhunderts, Teil einer Ausstellungstournee, die Spoerris Werk von Paris, Antibes, über München, Genf und Solothurn erstmals nach Wien führte. Seit 2007 lebte und arbeitete der Künstler in seiner Wahlheimat Wien.

Spoerri zählte zu den letzten Künstler*innenpersönlichkeiten der Nachkriegsavantgarde, war Mitbegründer des Nouveau Réalisme und Erfinder der Eat-Art. Bekanntheit erlangte er durch seine seit 1960 stets weiterentwickelten „Fallenbilder“ (Tableaux pièges) – zufällig gewählte Alltagsarrangements, in denen er wortwörtlich ein Stückchen Realität einfing. Ausgangspunkt war häufig ein gemeinsames Mahl, wobei selbst das von den Gästen mitgebrachte Geschirr und von ihm gekochte Menü Teil der Dramaturgie waren. Sobald seine „Falle“ zuschnappte, wurden die Objekte auf ihrem Untergrund fixiert, um 90 Grad gedreht, und der Speisetisch schließlich zum Tafelbild. Spoerri zeigte mit seinen Fallenbildern, dass selbst das Flüchtige, Banale und Zufällige eine tiefere Bedeutung haben kann, wenn wir es nur anders betrachten. Sein Werk lebt von Kontrasten, an deren Nahtstelle das Skurrile und Sarkastische seinen Platz findet. Mit Humor, Leichtigkeit und einem Hauch Melancholie reflektierte er über die Vergänglichkeit des Seins. 

Die Fallenbilder vereinen die unterschiedlichen Facetten von Spoerris Werk in einzigartiger Form: die Entgrenzung von Kunst und Leben, sein Interesse an kunsthistorischen Referenzen, die Liaison zwischen Stillleben und Happening. Er war – wie der Philosoph Hans Saner bereits 1990 formulierte – Choreograph, Objektkünstler, Koch, Eat-Artist, Happening-Veranstalter, Sammler und Unzähliges mehr. 

Dass Spoerris Stillleben nicht zuletzt auch etwas Bedrohliches an sich haben – etwa Der Kinderkäfig von Nathalie (1969), – erklärt ein Blick in Spoerris Kindheit. 1930 als Daniel Feinstein im rumänischen Galați geboren, flieht er mit seiner Mutter und seinen fünf Geschwistern 1942 in die Schweiz, da sein Vater, Isaac Feinstein, obwohl er vom Juden- zum Christentum konvertierte, 1941 von den Nazis ermordet worden war. 

In Zürich wächst Spoerri bei seinem Onkel Theophil Spoerri auf, dem Rektor der Universität Zürich. Von diesem erhält er auch seinen späteren Nachnamen. 1948 macht er Bekanntschaft mit dem Choreografen Max Terpis, der ihn zum Tanz führt. Anfang der 1950er-Jahre absolvierte er eine Ausbildung zum Balletttänzer. 1954 wird er Erster Tänzer des Berner Stadttheaters und beginnt selbst zu inszenieren. Über den Kreis der Konkreten Poesie lernt er Meret Oppenheim und Dieter Roth kennen. Mit Oppenheim verbindet ihn eine lebenslange Freundschaft. Tinguely, den Spoerri bereits 1949 kennenlernt, macht ihn später mit Yves Klein bekannt, durch den er 1960 zu einem Gründungsmitglied des Nouveau Réalisme wird. 1961 findet in Köln die erste Gruppenausstellung statt, die Spoerri aus seinem alten Reisekoffer präsentierte. Dieser Koffer, der ab 5. Dezember 2024 im zweiten Teil der Ausstellung Mapping the 60s im mumok prominent gezeigt wird, stellt gleichsam eine Miniatur-Ausstellung des Nouveau Réalisme dar. Beinahe alle seine Hauptvertreter*innen sind mit kleinen Arbeiten vertreten, die die künstlerischen Strategien jener Jahre repräsentieren.

Bei seiner Erstpräsentation 1961 packte Spoerri über eineinhalb Stunden lang die einzelnen Werke aus, um sie einem erstaunten Publikum nahe zu bringen. Dieses Erstaunen, das seine Werke immer noch auslösen, ist Spoerris großes künstlerisches Vermächtnis. 


Karola Kraus, Marianne Dobner, Manuela Ammer und das Team des mumok

 

Daniel Spoerri, Hahns Abendmahl, 1964 
mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, ehemals Sammlung Hahn, Köln, ehemals Sammlung Hahn, erworben, 1978
© Bildrecht, Wien