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mumok Perspektiven
Mapping the 60s
Mapping the 60s: Kunst-Geschichten aus den Sammlungen des mumok
Mapping the 60s auf den Ausstellungsebenen -2 wurde von Manuela Ammer, Marianne Dobner, Heike Eipeldauer, Naoko Kaltschmidt, Matthias Michalka und Franz Thalmair kuratiert. Die Ausstellung geht der Frage nach, wie maßgebliche gesellschaftspolitische Bewegungen des 21. Jahrhunderts in den 1960er-Jahren verwurzelt sind. Sie zeigt, dass Initiativen wie Black Lives Matter oder #MeToo auf antirassistischen und feministischen Aufbrüchen dieser Zeit basieren. Ebenso nimmt sie aktuelle Debatten über Krieg, Mediatisierung, Technisierung, Konsumismus und Kapitalismus in den Blick und verknüpft sie mit den prägenden Entwicklungen der 60er-Jahre.
Die 1960er-Jahre sind eine Schwellenzeit der radikalen gesellschaftlichen, politischen, ästhetischen und theoretischen Umbrüche: Bürgerrechtsbewegung und Studierendenrevolte, antikoloniale Befreiungskämpfe und Proteste gegen den Vietnamkrieg, Emanzipation und der globale Siegeszug von Popkultur und Konsumgesellschaft, rasanter technologischer und medialer Fortschritt. Die Auswirkungen der Umwälzungen dieses Jahrzehnts sind auch heute noch und vermehrt wieder spürbar. So nehmen etwa antirassistische und feministische Kämpfe der Gegenwart wie Black Lives Matter oder #metoo in ihren Forderungen und Ansätzen bisweilen unmittelbar Bezug auf die emanzipativen Bewegungen der damaligen Zeit. Und auch viele der aktuellen Diskussionen und Auseinandersetzungen um Krieg, Mediatisierung, Technik, Konsumismus und Kapitalismus finden ihre Wurzeln in den 1960er-Jahren.
Kunsthistorisch sind die 1960er-Jahre ein Jahrzehnt, dessen Bedeutung sich kaum überschätzen lässt. Die Pop Art nimmt sich insbesondere in den westlichen Ländern den Folgen einer immer stärker am Konsum orientierten und verstärkt massenmedial vermittelten Gesellschaft an. Fluxus, Happening und Nouveau Réalisme verabschieden das herkömmliche Kunstobjekt und postulieren einen neuen Bezug zur Realität, mit der Performance betritt der Körper ganz unmittelbar die Bühne und prozess- und materialbasierte Ansätze lassen den konventionellen Kunstbegriff schließlich zugunsten von Verfahren, Anweisungen und Handlungen weit hinter sich. Vor dem Hintergrund der immensen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche des Jahrzehnts werden auch in der bildenden Kunst Systemfragen gestellt, die eingespielte Mechanismen und Machtstrukturen kritisieren und einen Neuanfang einfordern.
Für das mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien sind die 1960er- Jahre darüber hinaus noch aus ganz anderen Gründen zentral. Das Museum eröffnete 1962 als Museum des 20. Jahrhunderts – als damals einziges ausschließlich der Gegenwart gewidmetes Kunstmuseum Österreichs. Die Ankäufe aus dieser Zeit bilden den Grundstock der mumok Sammlung. Doch auch die Sammlung Peter und Irene Ludwig sowie die Sammlung Wolfgang Hahn, mit denen die Bestände des Hauses 1979 signifikant erweitert werden konnten, legen ein zentrales Augen- merk auf die künstlerischen Strömungen der 1960er-Jahre.
Die Sammlungspräsentation Mapping the 60s widmet sich den vielfältigen Auf- und Umbrüchen dieser Zeit und spürt ihnen in den Beständen des mumok nach. Im Sinne des titelgebenden „Mappings“, also eines Kartierens und Vermessens, werden die gezeigten Exponate in ihrem damaligen Umfeld kontextualisiert. Dazu wird einerseits auf zentrale Ausstellungen und Veranstaltungen der 1960er-Jahre Bezug genommen, andererseits werden über exemplarische Publikationen aus dieser Zeit wichtige diskursive Zusammenhänge aufgezeigt. Wie unter einem Brennglas können auf diese Weise selektive Schlaglichter auf die damalige Zeit geworfen werden. Historische Knoten werden sichtbar, in denen sich exemplarisch verschiedene soziopolitische Anliegen, ästhetische Strömungen und unterschiedliche Herangehensweisen überlagern und überkreuzen – gleichzeitig, im Austausch, aber auch im Widerstreit.
Nach Jahren der Vorherrschaft der Abstraktion wandten sich Künstler*innen ab Ende der 1950er-Jahre wieder der Figuration zu – und traf dabei in den westlichen Ländern auf eine Gegenwart, die bestimmt war von wirtschaftlichem Aufschwung, wachsendem Konsum und allumfassenden Massenmedien. Im Rahmen der Pop Art wurden Bilder nun als medial vermittelte Bilder thematisiert, die in Zeitungen, Magazinen und vor allem im Fernsehen zirkulierten.
Setzte sich die Pop Art zunächst mit der glatten Oberfläche der schönen neuen Warenwelten, der Werbung und damit auch den entsprechenden Begehrensstrukturen auseinander, so wandte sie sich im Verlauf der 1960er-Jahre bald auch den Rissen in der Wohlstandsfassade, den gesellschaftlichen Bruchlinien und der dunklen Rückseite des Fortschritts zu – Sensationalismus, Gewalt, Rassismus. Die Pop Art adressierte derartige Fragen jedoch nicht in deutlicher Opposition, sondern stets im Bewusstsein, Teil desselben medialen, ökonomischen und sozialen Dispositivs zu sein, das sie spiegelte.
Andy Warhol wandte sich Anfang der 1960er-Jahre in seiner sogenannten Desaster-Serie Gewalt und Tod in der US-amerikanischen Gesellschaft zu. Er setzte dafür auf Pressebilder – im hier gezeigten Orange Car Crash aus dem Jahr 1963 ist es das Bild eines Autounfalls – und rückte so die mediale Vermittlung gerade auch der grausamen und gewaltvollen Ereignisse in den Blick. Der Unfall bleibt eine Katastrophe, aber er findet auf derselben medialen Ebene statt wie all die glänzenden Bilder von Stars und Celebrities, denen sich Warhol parallel zuwandte. Tod und Gewalt werden dabei als grundlegende Elemente einer auf Konsum, Medien und Fortschritt fixierten Gesellschaft ersichtlich.
Eine Skulptur wie Douane Hansons Football Vignette von 1969 adressiert die Präsenz körperlicher Gewalt und Brutalität in der US-Gesellschaft vor dem Hintergrund des sich damals intensivierenden Vietnamkriegs nicht direkt, sondern codiert sie mit drei in der Bewegung erstarrten American-Football-Spielern in Form eines typisch amerikanischen Sports. Robert Indianas Love Rising / Black and White Love (For Martin Luther King) von 1968 schließlich ist ein Statement gegen den anhaltenden Rassisismus und greift eines der neuralgischen Ereignisse der US-amerikanischen Geschichte der 1960er-Jahre auf: die Ermordung des Schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King.
Dass die immer wieder und gerade auch damals geäußerte Kritik an der Pop Art als konsumverherrlichend und unkritisch der Komplexität des Verhältnisses von Bild, Realität und Politik nicht gerecht wird, macht insbesondere ein Werk wie das von Corita Kent deutlich, das erst jüngst Eingang in die mumok Sammlung gefunden hat. Kent, die in Kalifornien lang Jahre als Nonne Mitglied des katholischen Ordens „Immaculate Heart of Mary“ war, begriff die zugängliche Sprache der Pop Art und die relativ einfach zu handhabende Siebdrucktechnologie nicht zuletzt als Mittel, um auch politische Botschaften unter die Menschen zu bringen. Kents oft bunte und auf typografische Elemente und Text setzende Arbeiten zitieren Martin Luther King oder Albert Camus und stellen mit ihrer Fürsprache für kollektive Werte wie Verantwortlichkeit, Hingabe und Nächstenliebe im aufgeheizten politischen Klima der US-amerikanischen 60er-Jahre eine erstaunliche Schnittmenge zwischen katholischer Sozialphilosophie und der Rhetorik einer gegen individuelle Leistungsethik und den Vietnamkrieg gerichteten Hippiebewegung dar.
Ein noch einmal anders gelagertes Verhältnis von Kunst, Politik und Wirklichkeit wird im anschließenden Raum sichtbar, wo neben einem Werk von Jo Baer auch Arbeiten von Lee Lozano zu sehen sind. Lozano war an der sogenannten Art Workers’ Coalition (AWC) beteiligt, in deren Umfeld sich auch Baer engagierte. Die AWC forderte im New York der späten 1960er-Jahre von den Kunstinstitutionen Reformen und setzte sich unter anderen für eine stärkere Berücksichtigung von Schwarzen Künstler*innen und Frauen im Kunstbetrieb ein. Lozano, die zunächst als Malerin begonnen hatte, schuf Ende der 1960er-Jahre eine Reihe sogenannter „Languages Pieces“ mit geschriebenen Anordnungen und Richtlinien. Eine Arbeit wie General Strike Piece zielt dabei auf ihre Rolle als Künstlerin innerhalb der Kunstwelt, der sie zunehmend den Rücken zukehrte.